Seine Muskeln sind straff, seine Aussprache ist schleppend. Wenn Rocky in der gleichen Geschwindigkeit zuschlagen würde, mit der ihm die Worte aus dem Mund tröpfeln, wäre der italienische Hengst bloß ein Wallach im Ring. Aber Rocky ist ein Sieger. Für den Erfolg benötigt er nicht Hirn, sondern Herz. Das Herz eines Kämpfers.
So wie sein Bruder im Geiste, der Vietnam-Veteran John Rambo. Eine Ein-Mann-Armee mit mehr Vaterlandsliebe als politischem Sachverstand, allzeit bereit, dem geschlagenen Amerika unter Zuhilfenahme von Buschmesser und Maschinenpistole Rehabilitation angedeihen zu lassen. Rocky und Rambo – zwei Kino-Kultfiguren, gespielt und geprägt von einem Mann: Sylvester Stallone. Heute wird der italo-amerikanische Schauspieler, Regisseur und Drehbuchautor 65 Jahre alt. Zeit, die Machete in die Ecke zu legen? Von wegen. Ein echter Rambo geht nicht in Rente. Derzeit bereitet Stallone eine Fortsetzung seines Söldner-Spektakels "The Expandables" vor, das 2012 in die Kinos kommt. Wieder dabei sind die alten Weggefährten Dolph Lundgren, Mickey Rourke und Bruce Willis.
Bloß keine Rheuma-Salbe
Außerdem übernimmt der fünffache Vater die Hauptrolle in der Comic-Adaption "Bullet in the Head". Stallone spielt einen Profi-Killer, der gemeinsam mit einem New Yorker Cop den Tod ihrer Partner rächen will. Wer aus einem zwanzigjährigen Koma erwacht, wie "Der letzte Bulle" Mike Brisgau, wird sich freuen, dass sich wenig verändert hat. Stallone ist immer noch die "City-Kobra", die böse Buben beißt. Alle anderen aber wundern sich, warum der Multimillionär die geschundenen Knochen nicht mir Rheuma-Salbe einreibt, statt seinen Körper für Gewaltorgien vor die Kamera zu wuchten. Die Antwort ist: Stallone kann nicht aufhören, er wird gebraucht. Es gibt keinen Nachwuchs für die alten Haudegen.
Sicher gibt es muskulöse Figuren wie Dwayne "The Rock" Johnson, Vin Diesel oder Jason Statham. Aber ihnen fehlt das Charisma, das Stallone einst den Vergleich mit dem jungen Marlon Brando einbrachte. Den vierten Ableger der Rambo-Serie wollte "Sly" im Jahr 2008 eigentlich mit einem jugendlichen Partner an der Seite drehen. Das Problem war nur – er hat keinen gefunden. "Ich suchte nach einem neuen Steve McQueen. Aber diese Jungs existieren nicht. Die sogenannten harte Burschen lassen sich heute von einem Hollywood-Friseur die Locken legen."
Stallone spricht aus, was seine Fans der frühen Stunde, die ihm noch heute die Treue halten wie die Groupies einer 80er-Jahre-Heavy-Metal-Band, vermissen. Echte Kerle. Keine epilierten Frauenversteher, die nach Lavendel duften. Wenn Stallones "Expendables"-Truppe auf ihren Harleys um die Kurve scheppert, riecht es nach Bierdunst, Mukkibudenschweiß und Kettenfett. Alters-Machismo, der ankommt. "The Expendables" war ein Mega-Hit mit einem weltweiten Einspielergebnis von 275 Millionen Dollar. Im zweiten Teil soll auch Stallones Freund Arnold Schwarzenegger (63) sein Terminator-Versprechen "I’ll be back – Ich komme wieder" einlösen und eine größere Rolle erhalten als die Stippvisite im ersten Teil. Nach dem Ende seiner Politkarriere ist "Arnie" wieder reif für "Äktschn", wie der bodygebuildete Riese aus der Steiermark das Genre zu nennen pflegt, das ihn und Stallone von unbekannten Kleindarstellern zu Superstars erhob.
Männer und Helden
Die Wiederkehr der Prügel-Pensionäre ist auch eine Rückkehr zu einer alten Ikonografie von Stärke, Heldentum und Männlichkeit. Lange Jahre haben die selbstzweifelnden Softies und bebrillten Wunderbuben im Kino regiert. Tobey Maguire in "Spider-Man", Robert Pattinson in "Twilight" oder Daniel Radcliffe in "Harry Potter". Jetzt schlagen die Machos zurück.
Nicht nur in den USA. In Deutschland erzielt die Serie "Der letzte Bulle" Traumquoten, in der Henning Baum einen Polizisten von Schimanskis Gnaden mimt, der so ist, wie der zuschauende Mann von heute gerne wäre – wenn er nicht den Kinderwagen schieben oder sein Single-Dasein in der Männergruppe auf Facebook beweinen müsste. "Männer sind heute verwirrter als früher", sagt Henning Baum. Ein Typ wie John Rambo war sich selbst Orientierung genug. Für Gesprächstherapie auf der Suche nach der Verletzung, die die Emanzipation in seine maskuline Seele grub, hatte er keine Zeit. Er musste die Welt retten. Rambos jammern nicht. Sie nähen sich selbst die Wunden zu, die das Leben schlug. In der ursprünglichen Version von Rambo (1982) begeht der desillusionierte Kriegsheimkehrer am Ende Selbstmord. Stallone weigerte sich, diese Fassung ins Kino zu bringen.
Text u. Bild: Nassauische neue Presse / Autor: Marc Rybicki
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